4-jährige Zwillinge retten ihrer Mutter das Leben
Kinder setzen Notruf ab, als die Mutter bewusstlos zusammenbricht
„Wir sind zutiefst beeindruckt, wie die kleinen Jungs insgesamt in dieser Notfallsituation reagiert haben. Das war ein Einsatz, der uns ewig im Kopf bleiben wird. Das ist ein absolutes Positivbeispiel, was zeigt, wie wichtig es ist, bereits Kleinkindern etwas in Erste Hilfe zuzutrauen. Die Unbekümmertheit und das fokussierte Handeln der Zwillinge war überragend und lebensrettend zugleich.“, so ein faszinierter Dirk Oswald, Rettungsassanitäter im DRK Kreisverband Verden.
Was war passiert?
Am 15.11.2019 um 16.15 Uhr wurde die Besatzung eines Rettungswagens der DRK Rettungswache Verden zu einem Einsatz nach Hülsen alarmiert. Der Rettungswagen wurde an diesem Tag von der Rettungsassistentin Merle Blank und Dirk Oswald besetzt. Bereits die Notfallmeldung sorgte bei der sehr routinierten Besatzung auf der Alarmfahrt für Gesprächsstoff: „Klein Johannes, 4 Jahre, meldet: Mama am Boden.“, meldete die Rettungs- und Feuerwehrleitstelle des Landkreises Verden der Rettungswagenbesatzung. Merle Blank fasst die ersten Überlegungen der Rettungswagenbesatzung auf der Einsatzfahrt zusammen: „Bei solchen Meldungen kann das alles oder nichts sein. Da fragt man sich zunächst, ob Kinder vielleicht am Telefon gespielt haben oder es sich gar um einen Unfugalarm handelt, weil es extrem selten ist, das 4-jährige einen adäquaten Notruf absetzen. Doch an diesem Tag war das komplett anders.“.
Die Mutter lag bewusstlos im Wohnzimmer
Am Einsatzort angekommen, klingelte die entsprechend ausgerüstete Besatzung des Rettungswagens an der Tür des komplett dunklen Hauses, in welchem nur ein kleines Toilettenfenster beleuchtet war. „Das ist immer ein sehr spannender Augenblick. In diesem Moment entscheidet sich, in welche Richtung der Einsatz läuft. Macht überhaupt jemand de Tür auf? Wenn jemand in einem fast komplett dunklen Haus die Tür öffnet, meint der es auch gut mit uns? Braucht dort wirklich jemand unsere Hilfe? Oder passiert gar nichts und wir rücken wieder ein? In der heutigen Zeit ist so eine Situation immer kribbelig, egal wie lange man im Rettungsdienst tätig ist!“, umschreibt Merle Blank den Moment des Wartens. Tatsächlich öffnete ein kleiner Junge die Tür und man stellte sich gegenseitig höflich vor. Der sehr selbstbewusste Junge berichtet sogleich, dass seine Mama im Wohnzimmer liegt und die Augen zu hat. Sofort suchten Merle Blank und Dirk Oswald den Weg ins Wohnzimmer und machten auf dem Weg dorthin Licht an. Tatsächlich lag die Mutter tief bewusstlos auf dem Boden, wie es der Junge beschrieben hat. Daneben lag das Telefon, mit welchem er den Notruf 112 abgesetzt hat. Zudem war auch kein Erwachsener im Haus, sondern ein weiterer Junge, der sich als der Zwillingsbruder entpuppte.
Schlagartig ein ganz besonderer Einsatz
„In ein paar Sekunden war klar, dass es sich hier um einen ganz besonderen Einsatz handelt. Einen Notfallpatienten zu versorgen, ist Routine und gehört zu unseren originären Aufgaben im Rettungsdienst. Nun hatten Merle und ich aber parallel noch die Aufsichtspflicht für 4-jährige Zwillinge.“, fasst Dirk Oswald die Gesamtsituation zusammen. Merle Blank ergänzt: „Wir haben uns kurz abgesprochen, dass einer die Notfallversorgung der Mutter übernimmt und der andere die Kinder beaufsichtigt als auch weitere Einsatzkräfte anfordert. Für die Versorgung der Mutter haben wir den Notarzt nachalarmieren müssen und für die Betreuung der Kinder die Polizei hinzugezogen, um Angehörige ausfindig zu machen.“. Während der Notarzt bereits auf dem Weg zur Einsatzstelle war, konnte auch die Oma der Zwillinge ausfindig gemacht werden. Nun war auch diese unterwegs zu ihren Enkeln. Dazu konnte die Oma noch wichtige medizinische Hinweise zu ihrer Tochter geben, dass es sich bei dem Vorfall um eine bekannte Vorerkrankung handelt. „Die Zwillinge waren unglaublich. Die hatten überhaupt keine Berührungsängste zum gesamten Rettungsdienstpersonal, was absolut selten ist. Zudem waren die wahnsinnig neugierig, was mit ihrer Mama passiert. So haben Merle und ich die beiden in die Notfallversorgung integriert und 2 Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Die Mutter wurde perfekt versorgt und wir hatten die beiden Jungs im Auge.“, so Dirk Oswald.
Ein Notfallsanitäter für die Kinderbetreuung
Mittlerweile war das Notarzteinsatzfahrzeug des Deutschen Roten Kreuzes aus Verden am Einsatzort eingetroffen und der Notarzt in die Versorgung der Mutter eingebunden. Auf den Notfallsanitäter Andre Sempf kamen allerdings alles andere als Routineaufgaben zu. Er wurde umgehend, bis zum Eintreffen der Oma, mit der Betreuung der Kinder beauftragt. „Als wir alle feststellen durften, dass die Mutter während der Notfallversorgung immer wacher wurde, entspannte sich auch die Gesamtsituation. So etwas wie in Hülsen, habe ich in 10 Jahren Rettungsdienst noch nicht erlebt. Die beiden 4-jährigen Jungs waren wirklich einzigartig. Die setzen einen Notruf ab. Die weisen den Rettungsdienst in die Lage ein. Die wollen bei der Versorgung ihrer Mutter helfen und tun dies auch mit Hingabe. Als diese mit dem Rettungswagen und dem Notarzt mit Blaulicht ins Krankenhaus transportiert wird, bin ich von jetzt auf gleich, wie selbstverständlich, Erzieher und langjähriger Kumpel in einer Person. Selten habe ich mit so viel Freude Fußball gespielt oder Kindern das Blaulicht am Notarzteinsatzfahrzeug gezeigt. Das war für mich ein ganz besonderer Moment in meiner beruflichen Laufbahn.“, resümiert ein sichtlich beeindruckter Andre Sempf diesen Einsatz.
Vorweihnachtliche Geschenke für die Kinder einer extrem stolzen Mutter
„Der Gesprächsbedarf nach Einsätzen richtet sich meist nach Intensität und Besonderheit des jeweiligen Einsatzes. Entsprechend superlativ war unser Gesprächsbedarf nach diesem Einsatz. Wir wollten unbedingt, dass die Jungs für ihr außergewöhnliches Handeln belohnt werden. Wir waren von der Sozialkompetenz und der Art und Weise der Zwillinge zutiefst bewegt. Was die getan haben und wie liebevoll die mit ihrer Mutter in der Notfallsituation umgegangen sind, das hat uns erfahrene Rettungsdiensthasen umgehauen.“, nennt Dirk Oswald die Gründe für die Meldung dieses Einsatzes an den Geschäftsführer. Für den Geschäftsführer des DRK Kreisverbandes Verden, Dirk Westermann, war es nach der Schilderung dieses Einsatzes selbstverständlich, dass er der Bitte nachkommt. „Unsere Mitarbeiter im Rettungsdienst sind hochprofessionell und haben schon sehr viel erlebt. An der Art der Nachricht konnte ich erkennen, dass in diesem Fall etwas ganz Besonderes vorgefallen sein muss. Dem Wunsch entsprechend, haben wir zur Mutter nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus Kontakt aufgenommen, uns nach ihrem Wohlbefinden erkundigt und ihr zu ihren beiden Jungs gratuliert. Die Mutter hat sich über meinen Anruf und die Absicht, dass wir ihre Zwillinge beschenken möchten, sehr gefreut. Deutlich überwogen hat aber der Stolz auf ihre Kinder und die Geschichte dahinter, die sie gerne mit anderen Menschen teilen möchte, weshalb wir nun von Sandra, Fabian und Johannes Bossele sprechen dürfen.“, gibt ein schwer imponierter Dirk Westermann zur Auskunft.
Kinder als Lebensretter
Sandra Bossele berichtet von einer Grunderkrankung, die bei ihr unter gewissen Umständen epileptische Anfälle auslösen kann. So einen epileptischen Anfall hatte sie in der beschriebenen Notfallsituation. Wohl wissend, dass das jederzeit passieren kann, hat sie ihre Zwillinge schon sehr früh darin geschult, Hilfe zu holen, wenn es ihr mal nicht gut geht. Sie hat mit Johannes und Fabian geübt, was zu tun ist, wenn die Mama umkippt. Sie hat ihren Kindern versprochen, dass Mama irgendwann wieder aufsteht und das alles nicht so schlimm ist, wie es aussieht. „Ich bin die meiste Zeit meines Lebens mit meinen Jungs zusammen und so war die Wahrscheinlichkeit immer sehr hoch, dass sie in meiner Nähe sind, wenn es mal zu einem Anfall kommt. Mir war wichtig, dass ich den beiden die Angst vor dieser Situation nehme, sie nicht in Panik verfallen und sie wissen, was zu tun ist. Darum haben wir diese Situation immer wieder spielerisch mit viel Spaß erarbeitet. Dass das dann auch so ausgeht, rührt mich als Mutter zutiefst und macht mich wahnsinnig stolz. Damit möchte ich aber auch andere Menschen ermutigen, ihre Kinder oder auch ihre Enkel so früh wie möglich an solche Situationen heranzuführen. Kinder machen das vielleicht unbekümmerter als manch Erwachsener. Macht Erste-Hlfe-Kurse mit den Kindern. Sie retten euer Leben.“, appelliert eine sehr stolze Sandra Bossele.
„Unseren Rettungsdienstmitarbeitern war es ein persönliches Anliegen, den Jungs die Geschenke zu übereichen und sie noch mal zu herzen, was natürlich sehr viel leichter fällt, weil die Zwillinge ihre Mutter wieder zu Hause haben. Umso schöner, dass wir das zu Weihnachten tun können und wissen, dass die Familie Bossele ein besinnliches Weihnachtsfest erwartet.“, so Dirk Westermann abschließend.